Cover
Titel
Triumph der Bilder. Kultur- und Dokumentarfilme vor 1945 im internationalen Vergleich


Herausgeber
Zimmermann, Peter; Hoffmann, Kay
Reihe
Close up 16
Erschienen
Konstanz 2003: UVK Verlag
Anzahl Seiten
396 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Annette Deeken, Institut für Medienwissenschaft, Universität Trier

Mit Ausnahme der nationalsozialistischen Propagandafilme, namentlich den Kriegswochenschauen und den Parteitagsfilmen von Leni Riefenstahl, wurde das Medium Film hinsichtlich seiner dokumentarischen Qualität bislang relativ wenig erforscht, und schon gar nicht systematisch und über eine längere Zeitspanne hinweg. Um dieses medienhistorische Forschungsdefizit zu beheben, hatten sich das Stuttgarter Haus des Dokumentarfilms und die Universitäten Siegen und Trier zu einem langjährigen Großprojekt zusammengeschlossen, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft unterstützt wurde. Das Projekt findet dieser Tage seinen Abschluss in einer umfassenden dreibändigen Publikation zur „Geschichte und Ästhetik des dokumentarischen Films in Deutschland 1895-1945“. Diesen Hintergrund muss man kennen, um den hier vorgestellten Band in seinem Stellenwert einordnen zu können. Er stellt gewissermaßen „work in progress“ dar, indem er zwei Tagungen dokumentiert, die in den Jahren 2000 bzw. 2001 im Haus des Dokumentarfilms zum Kulturfilm der 1920er und 1930er-Jahre und zu Wochenschauen und Propaganda stattfanden. So wird zwar erklärlich, warum die 20 Artikel dieses Sammelbandes recht kurz ausgefallen sind, es wird aber eben auch ihr provisorischer Charakter deutlich. Die Ausführungen von Klaus Kreimeier (S. 40-58) etwa zum Dokumentarfilm zwischen 1918 und 1933 bestehen unverkennbar in der sorgfältigen Benennung von Forschungsabsichten und der Aufzählung von Sub-Genres (vom Kolonial- und Ufa-Kultur- bis zum Werbefilm). In der Zwischenzeit sind in dem genannten Forschungsprojekt jedoch die Quellenstudien, die in der Mehrzahl auf bislang unzugängliches Archivmaterial zugreifen konnten, insgesamt erheblich vorangeschritten. Wer also einen fundierten Überblick über den dokumentarischen Film in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bekommen möchte, ist gut beraten, auf die oben genannte Neuerscheinung zu warten.

Andererseits bietet der vorliegende Band immerhin schon einen ersten Ausblick auf das breite und komplexe Spektrum an dokumentarischen Formen, und dies ist angesichts der dürftigen Fachliteratur zum Thema ein nicht zu unterschätzendes Angebot. Immerhin wird dem historischen Bildmaterial erstmals die nötige Aufmerksamkeit geschenkt, wobei der Begriff des Dokumentarischen bewusst weit gefasst wurde und sich nicht etwa auf die wenigen, ohnehin bekannten Klassiker des Genres (John Grierson, Joris Ivens u.ä.) reduziert. Der Blick der mediengeschichtlichen Forschung richtet sich nunmehr ohne vorgefasste Definitionsversuche auf alle Arten von Film, denen im fraglichen Zeitraum eine Realitätsabbildung zugeschrieben wurde: Die Bandbreite reicht vom ersten aktualitätsbezogenen Kurzfilm 1895 über den Lehr- und Unterrichtsfilm bis zum Naturfilm oder abendfüllendem Expeditionsfilm. Dieses Spektrum zu behandeln, ist ein erfreuliches Novum, das den Horizont der Mediengeschichtsschreibung entscheidend erweitern hilft. Leider schlägt sich diese wissenschaftliche Trendwende in der lieblosen Dreigliederung nicht wider: „der Kulturfilm in Deutschland“ (S. 27-118); „der dokumentarische Film im internationalen Vergleich“ (S. S. 121-301); „Propagandafilme im Zweiten Weltkrieg“ (S.305-355). Warum die Zeit des Nationalsozialismus auf die explizite politische Filmpropaganda der Kriegszeit reduziert wurde, bleibt unklar, denn diese Art Film ist nicht annähernd so schlecht erforscht wie die circa 4.000 dokumentarischen Filme, die die Deutsche Filmographie zum nichtfiktionalen Film aufgrund von Zensurlisten für die Zeit des Nationalsozialismus nennt. Im Gegenteil standen Wochenschauen und deren Derivate in Form von propagandistischen Kompilationsfilmen wiederholt im Rampenlicht der Dokumentarfilm-Forschung. „Die meisten Studien zum dokumentarischen Film im Dritten Reich stützen sich auf einige Dutzend meist propagandistischer Filme“ (S. 63), konstatiert Peter Zimmermann, der übrigens den Begriff „Drittes Reich“ fragwürdigerweise stets ohne Anführungszeichen gebraucht. Die spannende Frage nach der Programmierung, also nach dem, was wann von wem in welchem Kino vor und während der Kriegszeit tatsächlich gesehen wurde, bleibt in dem Tagungsband leider ausgespart.

Durch die Vielzahl an Artikeln und Sub-Genres einerseits, durch den reduzierten Umfang von durchschnittlich 12 Textseiten je Beitrag andererseits fällt der im Untertitel angekündigte internationale Vergleich insgesamt eher rudimentär aus. Obwohl dieser Teil mehr als die Hälfte der Beiträge ausmacht, thematisiert lediglich Thomas Elsaesser explizit den internationalen Kontext, allerdings nur aus stilistischer und filmtheoretischer Perspektive, zudem anhand von klassischen Filmbeispielen wie Spanish Earth (1937) von Ivens. Die meisten Autoren fokussieren mehr oder minder geschickt auf einen Aspekt der jeweiligen nationalen Filmkultur. So konzentriert sich Brian Winston auf seine bekannten Ausführungen zur Rolle John Griersons im britischen Dokumentarfilm. Guy Gauthier zeichnet im Zeitraffer einige grobe Linien der französischen Entwicklung nach. Diese Vorgehensweise erleichtert es nicht unbedingt, die einzelnen Nationalkinos miteinander zu vergleichen, zumal der Leser über die Produktionsfirmen und ihre Vertriebswege, über die Kinostruktur und das Publikum nicht informiert wird, zumindest nicht systematisch. Weder wird der deutsche Kulturfilm auf internationalem Parkett untersucht, den Hilmar Hoffmann einst als einen erfolgreichen Exportartikel der Ufa ansah, noch werden die grundlegenden Daten entwickelt, denen die Produktion und Rezeption der französischen, spanischen, englischen etc. Kultur- bzw. Dokumentarfilme unterlagen.

Der Sammelband ist mit 30 Seiten reich und in passabler Qualität bebildert. Hier und dort hat sich in die Bildlegenden allerdings ein unverständlich despektierlicher Unterton eingeschlichen. So wird Bild 13, welches das Operationsbesteck in einem Auge zeigt, mit den Worten kommentiert, diese „Großaufnahme von 1941 erinnert fatal an die schockierende Sequenz in Bunuels Der andalusische Hund (1928)“ (S. 78). Diese Assoziation an den ganz und gar nicht medizinischen Bunuel-Film wird man nachvollziehen können. Was aber ist „fatal“ daran, wenn in einem medizinischen Lehrfilm über eine Augenoperation ein solches Bild auftaucht? Bild 14, um ein weiteres Beispiel zu geben, zeigt ein Foto von der Arbeit an einem Ufa-Tierfilm. „Um effizient arbeiten zu können“, heißt es in der Bildlegende, wurden „die berühmten Tier- und Biologiefilme [...] oft in den Ufa-Studios mit höchstem technischen Aufwand inszeniert – wie hier `dokumentarische` Aufnahmen von Eidechsen“ (S. 80). Warum zoologische Aufnahmen, sobald sie in einem Außenstudio und nicht als Verhaltensbeobachtung in der freien Natur stattfinden, die Bezeichnung dokumentarisch nur noch in Anführungszeichen verdienen, erhellt sich zumindest aus diesem Kommentar nicht. Nachvollziehbar werden solche Bildlegenden vermutlich erst, wenn künftig publizistischer Raum geschaffen werden kann für ausführliche Filmbeschreibungen, die an ausgewählten Beispielen aufzeigen, wie solche Lehr- oder Tierfilme überhaupt konzipiert waren. Dass sich solche kleinteiligen, mikroanalytischen Beschreibungen von dokumentarischen Filmen, die außer den jeweiligen Autoren ohnehin nur sehr wenige wirklich gesehen haben, mit Gewinn lesen lassen, beweist der Eingangsartikel von Uli Jung. Er zeigt in einem Vergleich der kurzen Streifen Cologne, sortie de la cathédrale (1896) von dem Lumière-Operateur Charles Moisson und Domausgang in Trier (1904) von Peter Marzen auf, dass der Verwertungskontext darüber entscheidet, ob ein Film dem dokumentarischen Sub-Genre der Städtebilder oder dem der Lokalaufnahmen zuzuordnen ist. Die Zeit des frühen Kinos, die immerhin fast die Hälfte des Untersuchungszeitraums bis 1945 ausmacht, ist jedoch nur mit einem kleinen Artikel vertreten und damit eklatant unterrepräsentiert.

Deutlich exponiert, vielleicht über Gebühr, wirkt hingegen die Figur Walter Ruttmann, mit dem sich gleich drei Artikel befassen. Während Heinz-B. Heller anhand von Ruttmanns Industriefilmen, namentlich Mannesmann (1937), das Verhältnis von filmischer Avantgarde und Faschismus zum „Testfall filmanalytischer und filmhistorischer Methodik“(S. 105) nimmt, wartet Irmbert Schenk mit einer informativen Analyse des im italienischen Stahlwerk gedrehten Acciaio (1932) auf. Allerdings beziehen sich Schenks Ausführungen auf einen Spielfilm, wenn auch mit Laiendarstellern und einer Vielzahl „realistischer Stilelemente“ (S. 223), noch dazu um einen Film von geringer Publikumsresonanz. Dies mag im Kontext eines Bandes, der sich um die eklatanten Wissenslücken im dokumentarischen Bereich kümmert, nicht unbedingt zwingend erscheinen.

Problematisch wirkt an dem Band vor allem sein Titel: „Triumph der Bilder“ – eine Anspielung auf Riefenstahls NS-Parteitagsfilm Triumph des Willens (1935). Haben sich die Herausgeber einleitend des Titels noch in Anführungszeichen bedient, so führt Peter Zimmermann in seinen Darlegungen zum „Kulturfilm im Dritten Reich“ (S. 59) aus, wie er den Titel verstanden wissen will: Historische Dokumentarfilme und Fernsehdokumentationen hätten sich seit den 1960er-Jahren in der „Aporie“ verfangen, sich einerseits kritisch mit der „Zeit des Dritten Reichs“ auseinandersetzen zu wollen und dafür andererseits genau die Bilder der Wochenschauen und Kulturfilme jener Zeit verwenden zu müssen. Seine Schlussfolgerung: „Jetzt erst vollzog sich in unser aller Köpfen der wahre Triumph der Bilder, entfalteten Goebbels Propagandakompanien, Riefenstahls `heroische Reportagen` und die vielen anderen Kulturfilme ihre größte Wirksamkeit, avancierten Hitler und seine Helfer zu Medienstars, erstrahlte die Bild-Ästhetik der Ufa in einem Glanz, gegen den die kritischen Kommentare mühsam anzukämpfen versuchen.“ (S. 71) Dieses Szenario fußt auf dem beharrlichen Glauben, dass es Bilder seien, die Macht ausüben, und nicht der Gewaltapparat, für den sie zustande kamen. Seinen Gegenpart hätte es mühelos in dem Aufsatz von Karl Prümm finden können, der als signifikantes Merkmal der NS-Kriegs-Propagandafilme aufweist: „Nie dürfen diese Bilder für sich selbst sprechen, zu keinem Augenblick werden sie daher aus dem Regiment des Kommentars entlassen.“ (S. 328) Im Übrigen verweist das Szenario auf eine empfindliche Lücke in der Bildkenntnis, denn die kritische Aufarbeitung des Faschismus war immer auch mit Filmmaterial bestückt, das den Zeitgenossen damals nicht allgemein zur Verfügung stand, Amateuraufnahmen aus Konzentrationslagern und Fotografien von Angehörigen der Wehrmacht etwa.

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